Von Nacktärschen, Goldkapseln und ehrlichen Häuten
In Vino Veritas… das wussten schon die alten Römer, als sie vor zwei Jahrtausenden das wahre Gold der Mosel entdeckten. Viele mehr oder weniger gut erhaltene Kelteranlagen zeugen heute noch davon, dass die einstige Weltmacht nicht nur den Falerner im eigenen Reich zu schätzen wusste, sondern auch in ihren Provinzen mächtig punktete. Über den Geschmack aus heutiger Sicht hüllen wir mal den Mantel des Schweigens, denn die Finessen der Kelterkunst waren damals lange nicht so ausgefuchst, als dass man nicht irgendwelche Zusätze wie Honig beimengen musste.
Zweitausend Jahre später hat sich die Moselregion tatsächlich zu einem Paradies der lieblichen Weingenüsse herausgemergelt. Nur wurde kein Honig mehr zugemischt, sondern im Wissen um die Edelfäule und derer süsser Konzentration der Traubenrosinen eine unerträgliche Anzahl hochkonzentrierter Sirupe geschaffen, die man sich heute über’s Vanilleeis kippen würde. Auf den Listen fanden sich fast ausschliesslich Spät-, Aus- und Beerenauslesen, und jeder Winzer war bestrebt, seine Waage möglichst in die höchsten Regionen der öchsler’chen Grade zu treiben. Jahrhundertjahre wie 1959 oder 1976 bescherten eine Unzahl tiefprozentiger, aber zuckersüsser Trockenbeerengesöffen, die auf Auktionen entsprechende Preise erzielten, die selbst den Schlossherren des Chateau d’Yqem die Wutröte ins Gesicht trieben.
Dann erfand Bacchus das Reisen fremder Nationen in die heimeligen Moselgestade. Flugs mit der Ankunft der ersten Japaner im Delta der nationalen Rieslingelite war die Mosel nicht nur bis in ihre letzten Winkel fotografisch abgemessen, sondern auch ihrer bis dahin geltenden hohen Qualitätsansprüche beraubt. Mindere Qualitäten wurden zusammengemischt, verrührt, vergoren, verpanscht, und geboren war der Kröver Nacktarsch, die Zeller Schwarze Katz‘ und lauter solche witzig anmutenden Lagen, die der Tourist aus Fernost bei der Übersetzung wahrscheinlich mit dem dämlichsten aller Grinsen beklatscht hat. Weine dieser Zunft finden sich heute noch zuhauf bei Kellerräumungen grosselterlicher Erbbestände.
Bacchus zürnte, und gebot dem Menschen doch etwas sorgsamer mit seiner Lieblingsplörre umzugehen. Und der Mensch besann sich und entdeckte, dass ein heimischer Wildschweinbraten mit einem trockenen Gläschen Moselriesling weitaus besser schmeckt als wie mit der honigsüssen Versuchung einer Auslese. Aber – viel wichtiger – es war jetzt cool und angesagt, herbe Weine zu trinken, also solche, die im Mund stauben und schmarren und die sich nur mit roher Gewalt durch den Kehlkopf quetschen lassen. Der erste, zum Glück nur vorrübergehende Dolchstoss für die Moselwinzer.
Der zweite war das Geschrei nach anderen Rebsorten. Bis dahin gab es an der Mosel Riesling – basta! Warum auch nicht, denn die Rebsorte ist quasi nur für die Steilhänge und Schiefergesteine der Mosel geboren worden. Keinem Winzer des aufgehenden 20. Jahrhunderts wäre es in den Sinn gekommen, es auch mal mit Weißburgunder oder gar rotem Burgunder zu probieren. Für den letzteren ist sowieso die Ahr zuständig. Kerner, Müller-Thurgau und andere Nebenerwerbsreben wurden schon in Maßen angebaut, aber jetzt trauten sich die Moselaner auch an die exotischsten Erwüchse bacchinaler Kelterkunst heran. Und mittlerweile gibt es trocken, halbtrocken, feinherb und lieblich in der fülligen Vielfalt verschiedenster Rebsorten.
Und Bacchus freute sich. Nicht nur er, denn mittlerweile ereilt den geneigten Weinfreund eine breite Palette erlesener Köstlichkeiten von der Mosel. Die Bandbreite reicht von staubtrocken bis „Honigmelone“; der herbe Rieslingschoppen des Waldarbeiters neben der Weißburgunderspätlese für die Damenwelt, der gemässigte Kabinett für alle Fälle folgt gleich einem exotischen Frühburgunder (den ich selbst am liebsten trinke), und dessen Kultivierung und Verarbeitung Schwierigkeiten mit sich bringt, die ich selbst nie für möglich gehalten hätte, aber den höheren Preis rechtfertigt.
Und jetzt zur Praxis. Ich meine den Weinkauf zu welchen Preisen, welche Lagen und überhaupt. Da komme ich auf die Goldkapseln, die nur als Sinnbild für das stehen, was man eigentlich nicht haben muss. Das Angebot an der Mosel ist riesengross, und reicht von superfair bis überteuer. Spitzenlagen erzielen regelmässig Höchstpreise, und wenn das nicht ein Winzer ausnutzen würde, wäre er schön blöd. Das wäre ich auch, würde ich diese Spitzenpreise bezahlen. Ich liebe Wein und bilde mir ein, etwas davon zu verstehen, aber die letzten Nuancen, die mit zweistelligen Eurobeträgen in Verbindung stehen, möchte ich nicht unterstützen. Ein Beispiel: Ein trockener Riesling – also ansich ein prädikatsloser Schoppen – kostet im allgemeinen zwischen vier und sechs Euro je nach Winzer. Bei meiner sommerlichen Radreise durch das Land der Mittelmosel lag der Rekord bei 34,90 Euro für eine Flasche „Riesling trocken – Brauneberger Juffer“, die allerdings erst ab September verfügbar ist. Beworben mit der „Goldkapsel“ – für was die auch immer steht, jedenfalls ist sie teuer. Dann ist der Winzer natülich in allen einschlägigen Magazinen der Weingenußwelt hochgelobt, und das will natürlich extra bezahlt werden.
Probieren, probieren und nochmals probieren. Man ist erstaunt, welche Qualitäten sich oft in unscheinbaren Flaschen verstecken. Da geht man ein paar Kilometerchen von der Mosel weg, beispielsweise nach Veldenz oder Platten, und findet leckere Weine zu fairen Preisen. Da produzieren ehrliche Häute, die sich schämen, für einen guten Tropfen mehr als den Durchschnitt zu verlangen. Da sitzen kleine Winzer, die grosse Weine machen.
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