Überlebt

Vorgestern hörte ich, dass sie überlebt hat. Wie durch ein Wunder.

Ein ganz normaler Mittwoch, als ich frühmorgens auf den Zug wartete. Immer die gleichen Menschen, denen ich irgendwann keine weitere Beachtung mehr schenkte. Hier mal ein ‚Moin‘ und ein paar Meter weiter nur ein Kopfnicken. Müde sind sie alle noch. Ich eingeschlossen. Meine Kollegin, die des öfteren den selben Zug nimmt, strullerte mich ausführlich mit der gestrigen Tanzprobe ihres Karnevalvereins voll. Hoffentlich hält sie im Zug wenigstens ihre Klappe, damit ich noch ein wenig vor mich hindösen kann, dachte ich nur.

Ich musste blinzeln, da die Sonne gerade das Einfahrtssignal passiert hatte und mir mit ihrer morgendlichen Sommerlaune ins Gesicht schien. Noch fast drei Wochen Urlaubsvertretung – ach, die Zeit wird auch vorbeigehen. Irgendwann habe ich ja selbst dann mal Urlaub. Bloss wann? Und mit wem sollte ich ihn verbringen? Einer Einladung meiner Eltern in die Toskana folgen oder doch lieber mit dem Kumpel nach Spanien zum Abfeiern?

Sie trug eine lange Wolljacke, die viel zu warm für diesen Sommermorgen war – jedenfalls meiner Meinung nach, aber manche Menschen frösteln ja selbst bei tropischen Temperaturen. Und dann die knallroten Schuhe. Wenn man jeden Tag zu einer bestimmten Zeit einen bestimmten Ort betritt, fällt einem irgendwann jede noch so kleine Unstimmigkeit auf. Und irgendetwas stimmte nicht mit ihr. Das jedenfalls dachte ich, als sie an mir vorbeiging. Nicht so sehr, weil ich sie bis dahin noch nie dort gesehen hatte, vielmehr, weil sie nicht in das Bild der morgendlichen Normalität passte.

Ein ganz normaler Morgen, als die Lautsprecherdurchsage die Einfahrt des Zuges ankündigte. Wenn auch die Ausnahme die Regel bestätigt, bin ich doch immer wieder froh, wenn nicht durch irgendwelche unplanmässigen Rangierarbeiten oder Signalstörungen die Durchsage eine längere Wartezeit ankündigt. Meine Stempeluhr interessiert es schliesslich überhaupt nicht, und die verlorene Zeit morgens muss ich dann nachmittags dranhängen. Es sind auch mal spielende Kinder oder generell Personen auf der Strecke, die mich schon einige Zeit wartend und fluchend in Zügen verbracht haben lassen.

Ich drehte mich automatisch herum, als der Zug hupte und schärfer als gewohnt bremste. Sie ging ihm entgegen – mitten auf dem Gleis. Als ich mich wiederum umdrehte, um mir die weitere Szene zu ersparen, spürte ich bereits fliehende Menschen um mich herum. Ich rannte ein Stück mit. Dann war Stille. Sie war einfach so auf die Gleise gestiegen, kurz bevor der Zug den Bahnhof erreichte , aber niemand hat das für den Moment mitbekommen.

Ein ganz normaler Mittwochmorgen, als der Zug als sonst zum Stehen kam. Auf dem Bahnsteig rannte niemand mehr. Es war für den Augenblick vorbei. Ungläubige Gesichter über das, was gerade passiert sein musste. Entsetzen, das die Farbe aus ihnen weichen hat lassen. Einige weinten. Und mir wurde leicht übel.

Warum sie gelaufen wäre, fragte ich später meine Kollegin. Sie hatte Angst, dass der Zug entgleist und auf den Bahnsteig fahren könnte. Und warum bin ich gelaufen? So richtig weiss ich das selbst nicht. Ich denke im Nachhinein, es war der Gedanke, mit dem Tod in nahe Berührung zu kommen. Vielleicht hätte es sie zerrissen, vielleicht hätte Blut gespritzt, vielleicht wären sogar irgendwelche Teile von ihr auf mich drauf gefallen? All das. Momente wie dieser kommen einfach zu unvorbereitet und plötzlich, aber mit aller Kraft und Gewalt, die das Leben manchmal bereit hält.

Ein ganz normaler Mittwoch? Mit fast zweistündiger Verspätung im Büro angekommen und der Kaffee verstärkte meine leichte Übelkeit dann noch zusätzlich. Hier und da ein paar neugierige Fragen, ungläubige Gesichter und kurzzeitiges Entsetzen, bis sich jeder wieder seinen Tagesgeschäften widmete. Von diffizilen Fällen hab ich die Finger gelassen, aber das gröbste dann doch irgendwie geschafft. In Gedanken war ich noch immer auf dem Bahnhof.

Wie ich am nächsten Morgen von anderen hörte, hat sie sich kurz bevor der Zug über sie hinweggerollte, einfach hingesetzt. Und das hat ihr wohl das Leben gerettet.

Wie durch ein Wunder.

Cool for Cats

Katzen – geschmeidige Geschöpfe. Schmusetiger als gesellige, eigenwillige Begleiter des Menschen und vielleicht ihm auch charakterlich ähnlicher als angedacht. Katzen als highlight einer Afrikareise, und ich musste herzhaft lachen, als es zum wiederholten Male die Katzen waren, die vorrangig und einsam zum Höhepunkt des globetrottigen Ausfluges in die Wildnis mutierten.

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Katzen als Sinnbild für die Wildnis Afrikas – jene ursprüngliche Weite, die dem Leben Raum lässt. Die Wurzeln der Vorreiter sind tief spürbar, und wer erinnert sich nicht an die unsterblichen Augenblicke, die Grzimek & Co. vor vielen Jahrzehnten festhielten.

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Ich fand mich viele hundert Meilen südlicher wieder, als ich vor gar nicht langer Zeit ein Projekt besuchen durfte, das nicht nur die Sehnsucht nach dem afrikanischen Traum befriedigt, sondern auch dessen Schattenseiten aufzeigt. Africat – ein Fest für Katzen, und vor allem für solche, die in der freien Wildnis keine Chance haben. Die Problematik liegt auf der Hand: Nutzvieh versus wildness – selbst hier in den scheinbar unendlichen Weiten konfrontiert sich die Problematik zwischen Farmleben und wildlife immer wieder auf’s Neue.

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In aller Frühe sind wir in Windhoek losgefahren – vorbei an zahlreichen Farmen in einer ansonsten monotonen Landschaft auf dem Weg in den Norden des Landes. Inmitten des Okonjima Nature Reserve schlugen wir unser Lager auf. Sogar einen pool gab es zu meiner grossen Überraschung, der mir nach vielen Stunden staubiger Fahrt eine willkommene Abkühlung bescherte.

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Auf einer Gesamtfläche von 20.000 Hektar leben hier Leoparden, Löwen und Geparde. Allerdings ist dies kein zoologischer Garten – die Tiere wurden nicht freiwillig aus der Wildnis genommen und stammen ausnahmslos aus dem ewigen Konflikt zwischen Tier und Mensch. Verwaiste, verletzte und sonstwie hilflose Großkatzen werden hier auf ihr zukünftiges Leben in freier Wildbahn so gut wie es irgendwie geht vorbereitet, und immerhin liegt die Auswilderungsquote bei annähernd 90 Prozent.

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Africat bietet Essen, Pflege und ein Zuhause auch für die wenigen, die sich nicht mehr in die Wildnis Namibias reimportieren lassen. In permanenter Zusammenarbeit mit Forschern, Wissenschaftlern und Umweltbehören spricht Africat nicht nur den neugierigen Touristen an, sondern leistet auch Lehrarbeit für die Jugend des Landes. Hier geht es um weit mehr als nur die Präsentation von Raubkatzen – ein gut ausgebildetes Team vermittelt während der Tour ein attraktives Gesamtpaket aufschlussreicher Hintergrundinformationen rund um Mensch und Natur.

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Hier ist Aufklärung gefragt – ökologische Programme charakterisieren nicht nur ein grösseres Verständnis für die Umwelt und die Wichtigkeit der Erhaltung bedrohter Tierarten, sondern sorgen auch für ein ungetrübtes Miteinander zwischen den Bedürfnissen von Mensch und Tier, das im Vordergrund steht. So werden die Viehfarmer durch umfangreiche Rettungs-, Befreiungs- und Umsiedlungsprogramme unterstützt, um die Schäden durch Eindringen der Raubtiere so gering wie möglich zu halten

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Endlose Weiten, in denen sich scheinbar das Paradies ‚wildlife‘ offenbart, aber auch hier ist das Zusammentreffen von Mensch und Tier allgegenwärtig, das den Einsatz von Africat auf kommerzieller Ebene nötig macht. Ein afrikanischer Tag geht zu Ende und noch lange hallen die heutigen Eindrücke tief und beeindruckt in mir wieder.

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Africat – Katzen im Visier. Wo sonst beschreitet man den Kompromiss so geschickt, ideenreich und harmonisch wie hier?

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