Am späten Nachmittag, wenn die Sonne schon etwas müde an den hohen Häuserzeilen entlang streift , herrscht auf der Piazza Navona noch geschäftiges Treiben wie auf einer Grossbaustelle. Eine kleine Ecke auf einer der wenigen Steinbänke, die sich um Berninis Vierströmebrunnen gruppieren, konnte ich ergattern. Gerade habe ich mir ein Becherchen Eis aus einer der vielen Gelaterias gegönnt, obwohl es beinahe schon Zeit zum Abendessen wäre. Aber ein Eis geht hier immer, denn schliesslich sind wir in Italien. Während neben mir ein paar kids ausgiebig mit ihren smartphones beschäftigt sind, turnt eine ältere Dame über die den Brunnen schützende Brüstung hinweg und wird sogleich von den Ordnungskräften zurückgepfiffen. Nun, die Zeiten, wo man sich lustvoll in der Brunnenschale räkeln konnte, sind vorbei.
Mittlerweile habe ich den Standort gewechselt, denn gleich gegenüber wurde ein Eckchen einer anderen Steinbank frei, und auch, wenn ich mit den Flußgöttern des Brunnens schon auf ‚Du‘ bin, muss ich sie immer wieder bestaunen. Genau wie die kleine Gruppe japanischer Touristen, die versucht, mit dem Selfiestick ein präsentables Foto für die Lieben daheim hinzubekommen. Ach, diese neumodischen Errungenschaften, wie ich sie insgeheim verfluche. Früher wurde ich oft gefragt, ob ich ein Foto machen könnte, und daraus entwickelte sich manchmal ein nettes Gespräch. Mittlerweile klemmt man den mobilen Freund einfach in die Teleskopstange, die von den fliegenden Verkaufsstrategen massenweise feilgeboten wird.
So habe ich heute mein Gefrorenes ohne ein nettes Wort meiner Mitmenschen zu Ende gelöffelt. Sei es drum – gerade eben muss ich an ein italienisches Liedchen denken. Chitarra Romana – Jene römische Gitarre, die leidenschaftlich eine Stadt beschreibt, die man eigentlich gar nicht fassen kann. Eine Stadt, so komplex wie das Universum und doch so einfach zu verstehen wie ein Dorfbrunnen, wenn man sich ihrer Geschichte, ihrem Charme, ja sogar ihrem Gesang hingibt. Roma bella mi appare – wie schön erscheint mir Rom. Wenn auch die Strassenkünstler hier sich mittlerweile der touristischen Nachfrage angepasst haben… tief in Inneren horcht die Seele auf und erinnert sich an vergangene Zeiten.
Die Geschichte rasselt nur so vorüber: Alte Dynastien, klangvolle Herrschernamen, Päpste in dunklen Machenschaften, Orte des Grauens, aber auch prunkvolle Glorie, weisser Marmor und barocke Verzückung. Ein Weltreich in einem Atemzug, ein Imperium in seiner ganzen Ausdehnung von der Geburt bis zum Scheiterhaufen. Gerade werde ich etwas unsanft geweckt, denn gar nicht weit entfernt kontrolliert die städtische Polizei gerade eine Gruppe Straßenkünstler, die sich in typisch römischer Manier völlig ahnungslos gibt und sogleich eine Diskussion mit den Ordnungskräften beginnt. Höchste Zeit, in die Gassen abzutauchen. Es ist noch früh, und kaum ein Italiener sitzt jetzt schon zum Abendessen in einem der zahlreichen Ristorante, so bleibt auch für mich noch etwas Zeit.
Apropos Zeit, die sollte man reichlich mitbringen. Rom wurde nicht an einem Tag erbaut, alle Wege führen nach Rom – die geflügelten Worte sind geläufig. Tatsächlich ist es so, dass man sich auf die Stadt mehr einlassen muss als auf alle anderen Städte dieser Erde. Rom muss man am Schwanz packen, und Rom wird es danken und einen nie wieder los lassen. Rom ist anders. Rom verlangt deine ganze Aufmerksamkeit. Rom nimmt und Rom gibt, und das was du investierst, entlohnt dir diese Stadt doppelt und dreifach. Rom baut sich jeden Tag aufs Neue auf, und wenn du dich darauf einlässt, wirst du diesen Zyklus immer wieder neu erleben.
Mein Tisch ist noch frei. Kein Wunder, denn wenn die Terrasse meines Stammlokals am Abend gut gefüllt ist, hat es dort gerade noch Platz für einen einzelnen Gast. Ein kleiner Vorteil des Alleinreisens. Fettucine alla boscaiola – Pasta mit frischen Steinpilzen und Salsicca. Wie so oft lasse ich es mir mit dieser Köstlichkeit hier gut gehen. Dazu ein halber Liter Vino rosso de la casa. Von einem der Nebentische dringen ein paar Wortfetzen in holländisch zu mir herüber, und ich hoffe, dass sich vielleicht noch ein nettes Gespräch ergeben könnte. Zwischendurch immer mal wieder ein Lächeln der Chefin und ein paar nette Worte mit Daniele, einem der Kellner, der trotz des vollen Lokals zwischendurch noch Zeit dazu findet. So sind sie, die Römer.
Während sich der Wein langsam dem Ende neigt, bin ich gedanklich schon beim nächsten Tag. Weit im voraus plane ich fast nie. Es gibt kein must-see mehr für mich, und wenn es eines gibt, hat das auch noch Zeit bis zur nächsten Reise. In Rom läuft nichts weg. Morgen ist Montag, und da haben viele Museen sowieso geschlossen. Warm und schön soll es werden, und es wäre ein perfekter Tag für die Via Appia Antica, die ich wochentags fast für mich alleine hätte. Wie so oft erst mal auf einen Caffè Doppio in die Subura, dann die paar Schritte zum Kolosseum, wo ich mich allerdings damit begnüge, vor dem Amphitheater dem touristischen Treiben zuzuschauen. Dann vielleicht noch zur Villa Celimontana, einem kleinen Park auf dem Celio, wohin sich nur wenige Touristen verirren. Und in den Caracallathermen war ich auch schon lange nicht mehr…
„Un Limoncello, per favore“. Den gibt’s meistens nach dem Essen auf’s Haus, und er beendet heute abrupt meine gedankliche Planung für den kommenden Tag. Aber ein Becherchen Eis geht noch, und das natürlich wieder am Vierströmebrunnen, wo es mittlerweile deutlich ruhiger geworden ist. Kurz nach elf, und so langsam werde ich auch müde.
„Excuse me, can you take a photo of us?“
Na bitte, es geht doch. Nicht alle laufen den neumodischen trends hinterher.
„Yes, of course. Where do you come from?“
Die Stadt hat doch Mitleid mit einem armen Alleinreisenden.
Roma bella mi appare…