Archiv der Kategorie: Szenen

Oma so lieb

Ich gehe nicht oft an ihr Grab, weil ich Friedhöfe nicht mag. Die Kombination von frischem Erdgeruch, roten Grablichtern und Vergissmeinnicht dort liegt wie ein klitschnasser Teppich auf meinen Gedanken. Und denken tu ich ohne das alles auch oft genug an sie. Vor allem zu Karneval, als ich sie vor mehr als 20 Jahren tot vor ihrem Bett liegend gefunden habe. Damals war ich knapp 19. Mit dem Tod war ich bis dahin noch nie in Berührung gekommen. Jedenfalls nicht so nah. Ich wusste, dass sie irgendwann sterben wird, aber es kam so unvermittelt und plötzlich, dass ich keine Zeit hatte, intensiv darüber nachzudenken. Tod durch Gehirnschlag diagnostizierte der Arzt später. Ein schöner Tod, wie so mancher bemerken würde. Wenn man Sterben überhaupt so bezeichnen kann.

Als kleines Mädchen hat sie den ersten Weltkrieg miterlebt. Nur am Rande, aber sie wusste früh, was es heisst, Hunger zu haben. Ein Viertel Jahrhundert später hat das Schicksal dann erbarmungsloser zugeschlagen. Der Mann, den sie geliebt und kurz vor dem zweiten Weltkrieg geheiratet hat, kämpfte in Russland an vorderster Front. Sie las mir oft den Brief des Oberfeldwebels vor. Er starb ehrenvoll im Felde, wo ihn die tödliche Kugel traf. Die tödliche Kugel? Meine Grossmutter wusste, dass es nur die halbe Wahrheit war. Russische Kampfpanzer sind über den Schützengraben gerollt, in dem sich mein Grossvater und seine Kameraden verschanzt hatten. Nur wenige hatten überlebt und über die wahren Ereignisse berichtet. Meine Mutter war damals mit sechs Jahren noch zu klein, um das alles begreifen zu können. Sie kannte ihren Vater auch kaum. Nur zweimal hatte er Fronturlaub bekommen, und der dauerte auch nur wenige Tage.

Das Haus hat sie fast ohne fremde Hilfe wieder aufgebaut. Nach der Rückkehr aus der Evakuierung stand sie erst einmal vor einem grossen Haufen Schutt und Scherben, der einmal ihr zuhause gewesen war. Als Kriegerwitwe, Trümmerfrau, Alleinerziehende und Überlebende einer sinnlosen Menschen- und Materialschlacht vertraute meine Grossmutter nur noch auf Gott und auf sich selbst. Denn ausser den beiden hat ihr so gut wie niemand geholfen. Und dabei hätte sie beinahe auch noch ihr einziges Kind verloren. Im letzten Kriegsjahr erkrankte meine Mutter an Diphterie. So schlimm, dass der Arzt sie bereits aufgegeben hatte. Grossmutter hat weiter gekämpft – und gesiegt.

Sie wohnte im selben Ort wie meine Eltern und wie ich heute noch. Ein Siedlungshaus mit kleinen Fenstern und einem grossen Garten, der fast bis an die Rur reichte. Auf dem Hof hinter dem Haus existierte noch die Grube, worin die Fäkalien flossen, als es im Haus noch keine Toilette gab. Und der kleine Luftschutzbunker, der ihr zur Lagerung des Eingemachten diente. Sie hat bis zu ihrem Tod in diesem Haus gewohnt und ist auch dort gestorben. Das Dach wurde irgendwann mal erneuert, weil es an zu vielen Stellen undicht wurde. Sonst hatte sich im Laufe der Jahrzehnte nichts verändert. Sie feuerte mit Holz und Briketts und das Badewasser wurde einmal in der Woche auf dem Kohlenherd heiss gemacht. Hühner hatte sie, so lange ich zurückdenken kann. Ich fands lustig, ihnen im Garten die Würmer auszugraben. Weniger lustig wars allerdings, als Grossmutter ein Huhn griff, dieses durch mehrmaliges Rundschleudern betäubte und ihm mit einem gezielten Beilhieb den Kopf vom Rumpf trennte. Ich hab damals kein Hühnchen gegessen, nur die frischen Frühstückeier liebte ich über alles.

Ich liebte auch ihre Graupensuppe. Und die konnte nur Grossmutter so lecker zubereiten. Was genau sie enthielt, wird für immer ihr Geheimnis bleiben, aber auf jeden Fall gings vorher einmal querbeet durch den Gemüsegarten. Mir war das egal, Hauptsache, sie schmeckte lecker wie immer und es war kein Hühnerfleisch darin.

Und Gartenarbeit hab ich von ihr gelernt. Vor allem, wie man im Herbst nach der Kartoffelernte richtig umgräbt. Und zwar so, dass im Frühjahr möglichst spät möglichst wenig Unkraut hervorspriesst. Sie stand auch immer daneben und kontrollierte das. Mit dem Garten war sie eigen, wie auch mit manch anderen Dingen. Ich war ihr einziges Enkelkind und hatte bereit zu sein, wenn sie irgendetwas wichtiges brauchte. Und das waren im allgemeinen die Medikamente gegen Herzrasen, ihre Feodora-Vollmilchschokolade und Zigaretten. Ja, das Rauchen habe ich leider auch bei ihr gelernt. Wie so viele Kriegerwitwen hatte sie damals mit dem Rauchen angefangen. Eine Schachtel HB reichte genau zwei Tage. Später als pubertierender Bengel fand ich es immens toll, dass Oma mir hin und wieder ’ne Zigarette unter die Nase hielt und mich für die getane Gartenarbeit ‚belohnte‘. Natürlich belohnte sie mich auch anders, und ich hab von ihr so manchen Zehner zugesteckt bekommen.

Und ich durfte mich so richtig dreckig machen. Ob ich nun im Garten wühlte, die Briketts im Schuppen neu stapelte oder mit Freunden losstapfte, um an der Rur bewaffnet mit Einmachglas und Küchensieb Jagd auf Stichlinge und Molche zu machen – sie lächelte trotzdem, auch wenn ich mit schlammverkrusteten Gummistiefeln ins Haus stürmte, um ihr stolz meinen aktuellen Fang zu präsentieren. Damals fuhr ich noch Kettcar. Von meinem Elternhaus bis zu ihr warens nicht mal zehn Minuten, wenn ich in die Pedale trat. Zurück ein bisschen länger, aber da gings auch den Berg hoch. Manchmal durfte ich auch samt Kettcar über Nacht dort bleiben und dann schlief ich im Speicherzimmer. Dort, wo meine Eltern ihre ersten gemeinsamen Nächte verbracht hatten. Abends konnte ich das nahe gelegene Wehr hören und das sanfte stetige Plätschern des Wassers hat mich binnen Sekunden in den Schlaf gelullt. Aber da war ich auch schon übermüde, weil ich bei Grossmutter länger aufbleiben durfte als zuhause. Sie ging nie vor ein Uhr nachts ins Bett. Dafür brauchte sie ihren Mittagsschlaf zwischen eins und drei und wehe, ich hätte sie da gestört. Wie schon erwähnt, in manchen Dingen war sie eigen.

Natürlich hab ich sie nie Grossmutter genannt, sondern Oma. Und wie alle Omas hat sie sich auch irgendwann aufgemacht und mich allein gelassen. Ein Teil von ihr wird immer bei mir sein. Aber dass sie ihr Graupensuppenrezept nicht hinterlassen hat – das verzeih ich ihr so schnell nicht. Den Geschmack hab ich manchmal heute noch auf der Zunge liegen.

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Zeitreise

Einigkeit macht stark.

1957. Deutschland im Atem des Wirtschaftswunders. In mehreren Betrieben der Bundesrepublik Deutschland wird die 45-Stunden-Woche eingeführt und die ersten rund 10.000 Wehrpflichtigen rücken in die Bundeswehrkasernen ein. Der Bundestag verabschiedet ein Gesetz über die Gleichberechtigung von Mann und Frau. Darin wird die Zugewinngemeinschaft als gesetzlicher Güterstand in der Ehe eingeführt. Außerdem wird entschieden, daß Männern weiterhin bei Uneinigkeit in Bezug auf die Kindererziehung einen ‚Stichentscheid‘ haben. In Garching bei München geht als erstes bundesdeutsches Kernkraftwerk ein Forschungsreaktor in Betrieb, Willi Brandt wird zum regierenden Bürgermeister von West-Berlin gewählt und das Deutsche Fernsehen zeigt mit seiner eigenen Filmproduktion ‚Der Richter und sein Henker‘ nach einem Roman von Friedrich Dürrenmatt den ersten abendfüllenden Spielfilm. Im selben Jahr geben sich meine Eltern das Ja-Wort.

2007. Deutschland in Atem. Der Orkan Kyrill fordert bundesweit elf Menschenleben und hunderte Verletzte. Insgesamt 45 Verhandlungstage sind angesetzt beim Prozess um die Rekruten-Misshandlungen in einer Coesfelder Kaserne, während Paris Hilton bereits im Knast sitzt. Begleitet von einem der größten Polizeieinsätze in der Geschichte der Bundesrepublik findet im Ostseebad Heiligendamm der G8-Gipfel statt, die Verfassungsrichter untersagen heimliche Vaterschaftstests und die Emanzenzeitschrift ‚Emma‘ wird dreißig. Wir sind seit über einem Jahr Papst und ein Rock geht weiterhin durch’s Land – beide mehr oder weniger erfolgreich. Die Scheidungsrate liegt bei über 50 Prozent. Und meine Eltern feiern goldene Hochzeit.

Ein halbes Jahrhundert dazwischen. Ein halbes Jahrhundert Freude und Leid gleichermassen. Damals schwamm ich noch in Abrahams Wurstkessel und kenne daher die ‚ersten Stunden‘ nur aus Erzählungen.

Zeit für sich haben sie nur ganz wenig gehabt. Die 70-Stunden-Woche war die Regel, manchmal auch mehr. Nur der Sonntag blieb, um vom Alltagsleben Abstand zu nehmen. Hin und wieder mal mit dem Picnic-Korb in’s Grüne oder zu Kaffee und Kuchen bei Muttern. Das war’s schon, und oft genug passierte auch gar nichts, weil sie von der Woche viel zu geschafft waren. Viel zu wenig Zeit, nicht nur für den Luxus des Nichtstuns – selbst zum Streiten reichte es meistens nicht. Natürlich gab’s auch mal Probleme. Aber nicht viele. Und wenn, dann auch nicht von den Selbstangerührten oder solchen, die nicht wirklich welche sind. Und für den Rest ergab sich immer eine Lösung. Einigkeit hat stark gemacht.

Der erste Urlaub mit dem Goggomobil: Sieben Stunden Landstrasse bis zum ersten Möwengelächter kurz vor der holländischen Küste. Das Meer kannten sie bis dahin nur von Bildern und Erzählungen. Nach drei Tagen ging’s auch schon wieder zurück. Unfreiwillig, weil der Sonnenbrand das Liegen im Zelt unerträglich machte. Dass man am Meer um ein vielfaches schneller verbrennt als im Landesinneren… woher sollten sie das auch wissen – ohne Fernseher und Internet und ohne jegliche polyglotte Erfahrung? Aber immerhin vier Räder und ein Dach gegen den Regen. Das war nach den Jahren auf dem Motorrad fast wie der päpstliche Segen für einen Provinzpfaffen.

Aber Ferien blieben die Ausnahme; zumindest solche, in denen nicht gearbeitet wurde. Fast drei Jahre dauerte es vom ersten Spatenstich bis zur Begrünung des Gartens. Mich gab’s immer noch nicht, aber immerhin stand ich schon zur Debatte. Ein Haus bauen, einen Baum pflanzen und ein Kind zeugen – immer hübsch der Reihe nach. Auch mal wieder Urlaub – diesmal mit dem Käfer. Einer der ersten Export-Modelle mit grosser Heckscheibe. Ein 59’er in dunkelblau. Heute wär’s wohl ein nacht- oder tiefseeblaumetallic, wenn auch nicht mehr auf einem Blech, das jeglichem Rosten trotzig entgegenlacht. Heiligs Blechle – der Provinzpfaffe hat seinen Opel ‚Olympia‘ sicher nicht halb so liebevoll gepflegt als mein dad seinen Käfer… päpstlicher Segen hin oder her. Das Zelt hatte mittlerweile Stehhöhe. Und das reichte dann auch für eine alpine Tour bis zum Lago Maggiore. Diesmal sogar ohne Sonnenbrand. Und auch für Streitigkeiten war die Zeit viel zu kostbar. Meinungsverschiedenheiten – das übliche halt, was man damals so üblich nannte. Aber auch nicht viele. Und eine Lösung fanden sie immer. Einigkeit machte stark.

Mittlerweile hab‘ ich nicht nur das Licht der Welt erblickt, sondern krabbel‘ auf diesem Erdball schon eine ganze Weile herum. Apropos Krabbeln… an den Käfer allerdings kann ich mich sogar schwächlich entsinnen; damals passte ich längenmässig locker auf die Rückbank. An Streitigkeiten meiner Eltern kann ich mich ebenso schwach erinnern. Ein Akt der Gewalt kam tatsächlich auch vor, doch kenne ich die Story vom Ei, das meinem Vater im Laufe dieses gemeinsamen halben Jahrhunderts an den Kopf flog, auch nur aus Erzählungen. Dabei hat meine mum wohl absichtlich so daneben gezielt, dass anschliessend einzig die Wand gereinigt werden und mein Vater kein Aspirin schlucken musste.

Und mittlerweile haben sie ’nen Peugeot ‚Partner‘. Der Name ist sinnig und passt wie die Faust auf’s Auge. Sie waren Partner, sind Partner und werden auch weiter Partner sein. Für Streitigkeiten ist ihnen die Zeit viel zu kostbar. Bis auf das übliche. Fast so wie damals. Und eine Lösung findet sich immer – nun ja, fast immer. Manchmal fragen sie tatsächlich auch mich. Einigkeit macht stark.

Aber etwas passendes zu ihrem grossen Tag ist mir noch immer nicht eingefallen. Revanchieren, wie ich das möchte, kann ich mich eh‘ nicht. Die Tatsache, dass ich noch immer von ihnen lerne, lässt mich wieder einmal darüber nachdenken, dass ich ohne sie nicht zu dieser Harmoniebedürftigkeit gelangen konnte, wie ich sie seit Jahren in mir trage. Für Streitigkeiten ist mir die Zeit zu kostbar. Bis auf das übliche halt. Eine Lösung findet sich fast immer. Und wenn nicht, dann frag‘ ich noch manchmal sie.

Einigkeit macht stark.

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Der Mut, der leise ist

Oder: Wie feige sind wir?

Manchmal komme ich mir vor, als wäre ich vom Leben ausgeladen worden. Und ich möchte es doch so gerne als Einladung verstehen. Vom Leben ausgeladen – das ist manchem, wenn er auf sein Dasein schaut, wie aus dem Herzen gesprochen.

Die erste Hälfte des Lebens besteht aus Programmvorschau. Die zweite läuft unter dem Titel: „Erinnerst du dich?“.

Viele sprechen von der Last, die ihnen das Leben auflegt. Andere sprechen von der nötigen Anpassung, die einem hilft, das Leben zu bestehen. Und manch einer versucht auf eine ironische Weise damit umzugehen: „Das Leben ist ein mieses Theaterstück. Man sollte pfeifen, rausgehen und sein Geld zurückverlangen. Aber von wem?“ (Hans-Hermann Kersten). Und wer seine bitteren Erfahrungen nicht vergessen kann, wie sollte der nicht verstehen: „Leben ist, als müsse man Honig von den Dornen lecken.“

Es gibt den Satz: „Niemand kann aus seiner Haut heraus.“ Kann also auch niemand aus seinem Leben heraus? Manch einer hätte gern diese Haut abgelegt, eben weil er dauernd von einer anderen träumt. Ein anderer wünscht sie genau diese, die der andere gerade ablegen will. Er meint, Anrecht auf etwas Besseres, Gründlicheres, Originelleres oder irgendwie Abenteuerlicheres zu haben.

Siegen und Gewinnen gehört zu unserem Leben. Und wenn es uns nicht so direkt zuteil wird, dann werden wir die Sehnsucht danach doch niemals los. Aber Verlieren – das ist eine schmerzliche Erfahrung. Und wer möchte schon mit Verlusten leben? Dabei macht jeder von uns die Erfahrung, dass er in seinem Leben so manches verliert, von dem er gemeint hat, es gehöre ihm immer und für alle Zeiten. Verlieren tut weh und mit Verlusten leben wäre etwas, was mancher als unvermeidbar zwar akzeptiert, obwohl er nicht gerne davon redet.

Mit Verlusten leben – an Verlusten reifen.

Aber an Verlusten reifen? Wie geht das? Vielleicht wird das erst dann möglich, wenn man diesen Verlust so verarbeitet hat, dass das, was ihn bewirkte, durch einen hindurchgeht. Vielleicht kommt es soweit, dass ich entdecke: Was mir da genommen wird und was jetzt als Neues auf mich zukommt, will eine Herausforderung sein, der ich mich stellen muss.

„Man muss in sich selber leben und an das ganze Leben denken, an all seine Millionen Möglichkeiten, Weiten und Zukünfte, denen gegenüber es nichts Vergangenes und Verlorenes gibt.“ (Rainer M. Rilke)

In unserer Gesellschaft wird Wachstum gross geschrieben. Jeder möchte daran Anteil haben. Die Stichworte sind hinreichend bekannt. Sie begegnen uns zum Beispiel, wenn es heisst, die Wirtschaft müsse wachsen. Aber es gibt auch eine Rückseite. Und auch da gibt es ein Wachstum.

Die wachsende Einsamkeit unter uns.

Es werden nicht wenige sein, die davon betroffen sind. Denn immer mehr Menschen erleiden, was Anonymität, Beziehungslosigkeit, Isolation, Einsamkeit bedeuten. Vorzüge der Freiheit des Alleinseins? Für viele ist die Stimmung umgeschlagen. Und wenn man in die Sprechstunde der Psychologen und Therapeuten hineinhorcht, dann sind die Signale, die von dort kommen, deutlich genug. Ist es so, dass die wachsende Einsamkeit der Menschen möglicherweise eine der ernsthaftesten Krankheitsursachen unserer Zeit ist? Und hat jener Arzt Recht, der schreibt: „Ein gebrochenes Herz ist keine dichterische Erfindung. Es gibt einen schrecklichen Zusammenhang zwischen dem Mangel an Partnerschaft und Herzkrankheiten“?

Und man möchte da heraus. Aber wie sind die Erwartungen dabei? Sind sie nicht zu oft falsch orientiert? Zu viele wollen zu viel zugleich: Totale Unabhängigkeit UND einen festen Partner; die Vorteile einer Familie, aber keine Pflichten; sie wollen die Gemeinschaft, sind aber nicht bereit, sich an deren Gesetze zu halten.

Wie viele Versuche und wie viel Resignation!

Worauf es ankommt, ist, dass jemand, der einen braucht, der ihm zuhört, auch selber einer sein muss, der zuhören will. Und dass jemand, der seine Einsamkeit verlässt und eine Partnerschaft eingeht, auch selber bereit sein muss, Partner zu sein. Denn das Ich findet sich am Du. Und ohne Du geht das Ich verloren.

Der Psychologe Viktor E. Frankl schreibt über uns: „Im Gegensatz zum Tier sagen dem Menschen keine Instinkte mehr, was er tun muss. Und im Gegensatz zum Menschen von gestern sagen dem Menschen von heute keine Traditionen mehr, was er tun soll. Nun, weder wissend, was er tun muss, noch wissend, was er tun soll, scheint er oftmals nicht mehr recht zu wissen, was er im Grunde will.“

Und Max Frisch hat von der „fidelen Resignation“ als ein Kennwort unserer Zeit gesprochen – das klingt altmodisch, benennt aber treffend die Schattenseite einer reizüberfluteten Gesellschaft, in der viele dem Spass hinterherlaufen.

Sind wir feige?

Das Leben ist kein Wunschkonzert, wo wir uns lediglich zurücklehnen brauchen, um genüsslich und mit anhaltender Begeisterung im Takt der Musik mitzuwiegen. Aber im Grunde ist unser Dasein simpel und an den Wegen stehen so viele Ruhbänke, dass ich mich wundere, wenn einer müde wird. Wir nennen uns oft stark aber wir sind es doch nicht wirklich. Mehr noch, wir sind feige geworden. Und genau dieser Mut fehlt uns: mutig zu sein gegenüber dem Unbequemen, Seltsamen und Wunderlichen, das uns im Leben begegnet.

Der Mut, der leise ist…