Nie zuvor in meinem Leben habe ich so gefroren.
Wir befanden uns circa 2400 Meter über dem Meeresspiegel in einem hübschen kleinen Hotel, dessen Holzverschalung liebevoll in zartrosa getüncht war, und versuchten einzuschlafen. Das Abendessen bestand wie gewöhnlich aus ‚arroz con pollo‘ begleitet von einigen Dosen des schmackhaften einheimischen Bieres. Den ganzen Tag waren wir fast ausschliesslich auf unbefestigten, aber landschaftlich reizvollen Nebenstrecken im Landesinneren unterwegs; am kommenden Morgen sollte es dann in aller Frühe hinauf zum Vulkan ‚Irazu‘ gehen.
Costa Rica – die Schweiz Mittelamerikas. Kulturell ein Land der jungen Generation und der vermischten Hautfarben bietet es jedoch dem Naturverbundenen die Schönheiten eines ganzen Kontinents auf einer Fläche von der Grösse Niedersachsens. Architektonische Highlights und jahrtausendealte Kulturen sucht man hier vergebens – die ältesten Gebäude stammen aus dem 16. Jahrhundert seit der Entdeckung durch die Spanier und begeistern selbst durch die Linse der Kamera nur wenig. Vom tropischen Trockenwald in der Küstenebene bis zum vulkanischen Urgestein braucht es jedoch nicht länger als drei Stunden Autofahrt, und dabei werden nicht weniger als fünf verschiedene Klimazonen durchquert. Bergnebelwälder in immerwährender Feuchtigkeit und düsterem Licht liegen auf dem Wege wie auch lichte Tannenwälder, durch die sich die wichtigste Verbindung des Landes, die Panamericana, hindurchschlängelt. Und immer wieder diese grossen amerikanischen Trucks, die an den Steigungen der Traumstrasse Latein- und Mittelamerikas den Verkehr beinahe zum Erliegen bringen.
Fast mittig im Lande im ‚meseta central‘ liegt der höchstgelegene Vulkan des Landes, der ‚Irazu‘ auf einer Höhe von 3432 Metern über dem Meeresspiegel. Unscheinbar und gefahrlos schimmert das gelbgrüne, stark schwefelhaltige Wasser seiner Kraterseen in der frühen Morgensonne. Angeblich soll man von hier aus sogar sowohl den pazifischen als auch den atlantischen Ozean sehen können… ein Tatbestand, der jedoch eine erstklassige Fernsicht und dementsprechende Wetterverhältnisse voraussetzt und damit den meisten Kurzzeittouristen vorenthalten bleibt.
Die ganze Nacht haben wir kein Auge zugetan und selbst die herangeschafften zusätzlichen Wolldecken schafften es nicht, die innere Wärme der vorangegangenen Tage auszugleichen. Eine Woche bei feuchtschwülen 35 Grad und nicht einmal die Nacht brachte die ersehnte Abkühlung. Dagegen waren die Nächte im ‚meseta central‘ geradezu eisig; das Thermometer fiel auf sieben Grad, aber es erschien uns viel kälter und die gespeicherte Hitze der letzten Tage pochte unablässig unter der sich langsam abkühlenden Haut.
Frühmorgens nach dem obligatorischem Kaffee im Wasserglas machten wir uns auf den Weg zum Kraterrand in der Hoffnung, dass der Frühnebel der Sonne nicht lange standhalten würde. Wir wurden nicht enttäuscht. Die seismologische Station lag bereits in der Sonne, als wir den Kraterpark erreichten und nur der unablässig pfeifende Wind hielt uns von gegenseitigen enthusiastischen Freudensbeurkundungen ab. Schwefelgeruch stieg in unsere Nasen und trotz der gewaltigen Böen erschien uns der Anblick der schroffen Felswände so, als wenn es eine Ewigkeit nichts gäbe, was sie verrücken könnte.
Es war ein wenig mehr als anderthalb Jahre später, als ich die Zeitung aufschlug und unter den kleingedruckten Schlagzeilen aus aller Welt folgende Zeilen las: „Costa Rica: Der Vulkan Irazu brach nach langer Zeit des Schweigens wieder aus und bedeckte die nahegelegene Hauptstadt San José mit einer vierzig Zentimeter dicken Ascheschicht.“
Die Chance, zur falschen Zeit am falschen Ort gewesen zu sein, war eben so gross wie der berühmte Sechser im Lotto.
Aber nachdenklich hat es mich schon gemacht…
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