handymania

„Ok, also ‚ne Packung Arborio-Reis und Olivenöl Extra-Vergine. Bring’ ich noch mit. Bis später, Schatzi.“

Grummelnd stecke ich mein Handy zurück in die Hosentasche und trete aus der Warteschlange an der Supermarktkasse, in der ich mich eine viertel Stunde zuvor eingereiht hatte. Dabei waren meine ersten Einkäufe bereits auf dem Förderband platziert, und im Kopf hatte ich schon grob überschlagen, wie viel mich der heutige Einkauf kosten würde. Mit den eilig wieder in den Korb gelegten Delikatessen steuere ich sehr zur Freude der hinter mir Wartenden erneut die Regale an, um mich kurze Zeit später wiederum in die Schlange an der Kasse einzureihen zu dürfen – mit ‚ner Packung Arborio-Reis und Olivenöl Extra-Vergine und natürlich ganz hinten.

Und das alles nur, weil ich jederzeit und überall erreichbar bin oder meine es sein zu müssen. Die mobile Funktechnik macht’s möglich. War vor wenigen Jahren das Läuten eines Telefons nur in geschlossenen Räumen zu vernehmen, verfolgen heute Klingelgeräusche in unüberschaubarer Vielfalt den Menschen auf Schritt und Tritt und nach überall hin. Kaum ein paar Minuten vergehen, dass nicht von irgendwoher ein Brummen, Zirpen, Schellen, Bimmeln oder Fiepen in’s Ohr dröhnt, gefolgt von einem pseudo-überraschten „Halloooooo?“ des Angewählten. Natürlich posaunt man nicht den eigenen Namen heraus, denn wen im Umkreis der Mithörenden geht’s schon an, wie man heißt? Und schließlich weiß der Anrufer ja selbst, wen er da gerade angewählt hat – meistens jedenfalls.

Früher war das Rascheln der Tageszeitung der Standardton einer Pendlerzugfahrt, heute ist es das Klingeln des mobilen Freundes. Wahrscheinlich spart sich die Bahn deswegen auch die musikalische Untermalung einer Zugfahrt – die Klingeltöne der meisten Handys sind nämlich gar keine, sondern eher ein buntes Gedudel aus den Bereichen Charts, Musical oder Klassik. Die ersten Takte des aktuellen Lieblingshits gehören unbedingt zum mobilen Lifestyle, und das Jahresabo für polyphone Klingeltöne sorgt dafür, dass man auch immer schön auf dem neuesten Stand bleibt.

Der Empfang von Kurznachrichten wird meist nicht von einer solch kreativen Musikuntermalung angekündigt. Hier haben sich anbieterabhängig einige wenige, aber prägnante Tonfolgen standardisiert – mit dem Nebeneffekt, dass bei Einsetzen dieses Geläutes mindestens fünf Leute gleichzeitig und eiligst ihren mobilen Freund hervorkramen. Leider gibt’s meist nur einen Angewählten, so dass vier Handys gleich wieder unauffällig und unter Vortäuschen eines Hustenanfalles in den Taschen verschwinden. Schließlich gehört man selbst ja nicht zum Kreis der Süchtigen, die in Lauerstellung auf ein Lebenszeichen ihres Mobiltelefons warten.

Natürlich freut man sich über eine eingehende SMS wie ein Schneekönig, wäre beim Schreiben einer solchen das Eintippen nicht so mühsam. Also her mit den Abkürzungen. Sachen wie LG (Liebe Grüsse) oder HDL (Hab dich lieb) sind lange bekannt, doch um möglichst viel mit den 160 Zeichen zu sagen, ist so manch einer dem AKÜFI (Abkürzungsfimmel) erlegen: WZTWD? (Wo zum Teufel warst du?) oder LAWAMA! (Lass’ uns was machen!) lassen ganze Sätze auf wenige Zeichen zusammenschrumpfen. Verhunzung? Irgendwie ja schon. Ständig und wegen jedem noch so kleinen Schei.. werden SMS geschrieben, sogar noch öfters als E-mails. Die weltweiten Einnahmen aus den Handy-Kurzbotschaften beliefen sich laut Marktforschungsinstitut Gartner im Jahre 2005 auf knapp 30 Milliarden Euro und dürften der Prognose zufolge bis 2010 auf über 70 Milliarden Euro anwachsen. Na, da wird sich aber so mancher über die Rechnung freuen.

Es gibt Momente, da sind bimmelnde Handys ebenso willkommen wie Zahnschmerzen am heiligen Abend. Mozarts Zauberflöte ist bisher ohne polyphone Klingeltonbegleitung ausgekommen und wird es hoffentlich auch in Zukunft sein, und auch die montagmorgendliche Vorstandssitzung wird durch permanentes Handygeblöke nicht kurzweiliger. Ebenso daneben ist das romantische Candlelight-Dinner, wo in regelmäßigen Abständen der elektronische Giftzwerg dazwischenfunkt. Zugegeben, wenn man ein Handy mit einer Million Funktionen besitzt, möchte man auch Gebrauch davon machen, aber doch bitte nicht im vollbesetzten Bus. Hat man sich dort gerade mit der musikalischen Berieselung aus Discman, MP3-Player und ipod abgefunden, mutieren jetzt auch die Handys zu kleinen Ghettoblastern.

Vor einigen Tagen hatte ich einen merkwürdigen Traum. Ich träumte, alle Handys in meiner Umgebung führten ein Eigenleben und planten eine große Verschwörung. Es begann damit, dass sie grundlos und zu beliebigen Zeiten zu klingeln begannen. Wenig später steigerte sich das Ganze in ein unkontrolliertes Durcheinander von diversen mono- und polyphonen Klingeltönen, deren Lautstärke auf ein unerträgliches Maß anschwoll. Einige von den kleinen Plagegeistern hatten sogar Beinchen und hüpften im Takt ihres Geläutes durch die Gegend. Schließlich formierten sie sich in Reih und Glied und marschierten bis an die Tasten bewaffnet mit Pauken- und Trompetentönen gegen ihre Besitzer auf, denen nichts anderes übrig blieb, als mit zugehaltenen Ohren die Flucht zu ergreifen. Nur die sofortige Vernichtung aller Ladegeräte konnte schlimmeres verhindern.

Handymania – wie soll ein Phänomen beschrieben werden, für das es keinen Eintrag im Duden gibt, das sich wie eine Seuche verbreitet und mittlerweile bis in die abgelegensten Winkel der Erde reicht? Inzwischen hat fast jeder ein Handy, und ja, ich gebe es zu: Ohne Handy wäre ich aufgeschmissen. Ich möchte jederzeit erreichbar sein – von meiner nächtlichen Tiefschlafphase mal abgesehen, und auch andere erreichen können. Und ich muss sagen, wenn es auch manchmal zum unpassendsten Augenblick läutet, freu’ ich mich unglaublich über eine nette SMS oder einen lieben Anruf. Handy ist in. Handy ist cool. Handy ist geil. Handy ist eben handy.

Und ohne meinen mobilen Freund gäbe es heute abend anstelle eines leckeren Risottos nur die Reste von gestern.

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