Eilandkeuken

Wer Texel bereist hat, weiss vielleicht, dass die kleine niederländische Watteninsel nicht nur ein Kleinod für Ruhesuchende und radelnde Individualisten ist, sondern auch dem gaumenverwöhnten Feinschmecker ein Mekka voller kreativer Genüsse bietet. Nachdem ich doch einige Zeit auf Texel verbracht habe, erlaube ich mir eine kleine kulinarische Reise quer über die Insel, die nicht nur mit ihren berühmten Pannekoeken aufwartet, sondern auch ihre ganz besondere Inselküche präsentiert – eben die Eilandkeuken.

 

Het Schoutenhuys

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Für mich die unangefochtene Nummer eins; insbesondere deswegen, weil das Lokal dem Besucher die Qual der Wahl abnimmt. Hier gibt’s nämlich keine Speisenkarte, sondern nur ein Gericht, oder besser: Gerichtlein, denn ausser den ‚gerechies‘, die dort serviert werden, gibt’s nicht anderes. Einzig und einzigartig, denn für knappe dreissig Euro wandelt man durch einen kulinarischen Tempel der Inselküche mit verschiedensten texeltypischen ‚Tapas‘, denn ‚gerechies‘ bedeutet nichts anderes als kleine Happen, die im Schoutenhuys in vielen Gängen serviert werden – Slowfood vom feinsten. Die aufmerksamen und kompetenten Kellner ergänzen das kreative Kulinarium freundlich, ehrlich und zurückhaltend. So sollte es sein – eine Inselküche, die nicht nur Freude, sondern auch satt macht.

Aber auch geschichtlich wandert man auf einem höchst interessanten Pfad. Das Schoutenhuys war einst ein hoheitliches Amts- und Gerichtsgebäude; den Schouts oblagen nicht nur die gerichtlichen, sondern auch die steuerrechtlichen Belange der Stadt. Wen wundert es, dass die hoheitlichen Aufgaben damals schon mit einem besonders guten Mahl belohnt wurden? Fünf Sterne.

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Vincent Eilandkeuken

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Nicht nur Gaullt Millau bescheinigen Vincent & Miriam beste Kritiken – auch ich schliesse mich an. Nicht nur das Dinner im ‚Haupthaus‘, das heimelig versteckt im Grünen der Insel liegt, sondern auch der Salat mit Käse von glücklichen Inselschafen in der City Lounge haben mich überzeugt. Nur beste Zutaten, frisch auf den Tisch, garniert mit der Prise neuer Ideen, die die Insel unnachahmlich prägt. Allein hätte ich mir gewünscht, die Portionen hätten jenen Seemann gesättigt, der sturmumpeitscht den Weltmeeren trotzte. Viereinhalb Sterne.

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Catharinahoeve

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Was wäre Holland ohne seine Pannekoeken? Auf Texel fährt man nach Catharinahoeve, um die besten der Insel zu kosten. In den Sommermonaten lädt der Biergarten zu einer Pause ein, im Winter lümmelt man sich vor dem riesigen, offenen Kamin und vertreibt sich die Zeit, bis ein Tisch frei ist. Denn leider ist das Bauernhofrestaurant längst kein Geheimtipp mehr und gerade am Wochenende empfiehlt sich eine frühzeitige Reservierung. Wer dort keinen Pannekoeken probiert, ist selbst schuld. Viereinhalb Sterne.

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De Texelse Visspecialist

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 Auch wenn das Ambiente nur eine ’schnelle Mahlzeit‘ vermuten lässt, ist der Fischspezialist in Oudeschild noch immer Nummer eins für den leckersten und frischesten Fang aus dem Meer. Kein Wunder – denn im Hafen von Oudeschild laufen tagtäglich die Kutter ein. Egal ob Kibbeling oder Garnelen; der Liebhaber der Meeresküche kommt hier garantiert auf seine Kosten. Ungewohnt, aber nützlich sind die ‚Pieper‘, die Alarm schlagen, wenn die Bestellung zum Verzehr bereit liegt. Viereinhalb Sterne.

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De Texelse Chocolaterie

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Es ist wahrlich die Adresse für den wahren Schokoladenliebhaber – als Freund der erlesenen Kakaobohnen erlaube ich mir dies zu wissen. Zwar liegt die kleine Manufaktur versteckt im Gewerbegebiet bei Den Burgh, doch Lia und Nanne-Jan beweisen meisterlich, dass sich im Teamwork am besten die edlen Schokoladen mit den inseltypischen Zutaten zusammen führen lässt. Im Ergebnis vollendete Schokomagie mit hohem Suchtfaktor. Fünf Sterne.

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Wijngaard De Kroon

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Texel ist immer für Überraschungen gut und oft trifft man das an, was man nicht vermute hätte. Werdenkt schon, dass so hoch im Norden Europas Weinbau betrieben wird? Jan-Jaap Kroon, ein junger und ehrgeiziger Winzer beweist allerdings, dass selbst auf knappen drei Hektar sandigen Bodens Weine wachsen, die zwar nicht mit den grossen Gewächsen namhafter Güter mithalten können, dafür aber ihren eigenen, ganz besonderen Charme entwickeln und die Inselküche harmonisch ergänzen. Vier Sterne.

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 De Kroontjes

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Ein ehrliches Lokal mit hohem Wohlfühlfaktor am Rande von De Koog. Wenn auch die äusserliche Erscheinung eher unscheinbar daher kommt, sorgen Gerda und Ronald für ein Ambiente, das Auge und Magen gleichermassen zufrieden stellt. Texelse lam ist hier eben so zuhause wie ein belgischer Boeren Breugel und die hausgemachten Kroketten aus Waldpilzen mit Trüffelmayonaise beweisen, dass man sich nicht scheut, selbst einfachste Gerichte für den erlesenen Gaumen aufzufrischen. Vier Sterne.

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Paal 17

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Wer glaubt, dass sich die gastronomischen Ergüsse der Niederlanden ausschliesslich im Landesinneren befinden, wird im Strandpaviljoen Paal 17 eines besseren belehrt. Immer wieder gerne nutze ich die Gelegenheit, bei meinen langen Strandwanderungen dort eine kleine Pause einzulegen, aber auch nach Sonnenuntergang bleibt ein Dinner mit traumhaftem Meerblick ein Erlebnis der besonderen Art. Vier Sterne.

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Sjans

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Wenn auch die website ein wenig Ballermannfeeling versprüht – bei Sjans ist man immer an der richtigen Adresse. Jedenfalls dann, wenn man(n) Lust auf eine satte Portion Fleisch hat. Welcom bij Sjans – der Titel ist Programm. Inmitten des pulsierenden Insellebens auf der Dorpstraat in De Koog  isst man hier Steaks & Burger. Die Portionen sind nicht nur üppig, sondern punkten auch qualitativ. Vier Sterne.

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Texel Culinair

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Leider kann ich nächstes Jahr nicht mit dabei sein, wenn Texel seine Tore für die Feinschmecker öffnet: Texel Culinair. ein Event, dass jedes Jahr Anfang September stattfindet und die kleine Insel in kulinarischem Atem hält. Ein Festival der Genussmagie, ein Mekka für Gaumenfreudige, und das drei Tage lang. Drei Tage steht die kleine Watteninsel unter Strom – drei Tage des kulinarischen Wahnsinns, das nicht nur die Spiztenköche Texels an ihre Grenzen treibt. Immerhin gilt es, einen Preis abzuräumen. Geschmackssache – ich erfreue mich an den vielzähligen genialen Kreationen, süffel meinen Wein und freue mich auf’s nächste Mal. „Geweldig! Elk jaar kom ik speciaal voor Culinair.“ – so ein Kommentar. Dem ist nichts mehr hinzufügen… 

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Red Sails In The Sunset

Genau dieses Bild hatte ich vor Augen: Eine glutrote Düne, die sich in den stahlblauen Himmel schwingt. Im Vordergrund ein fast schwarzes Fragment, das dem farbigen Essemble seine kargen Äste gespenstisch entgegenstreckt. Dieses Bild hatte sich in mir eingebrannt, als ich vor vielen Jahren einige Fotos der Namibwüste in einem Reisekatalog entdeckte. Es war die unendliche Schönheit des Einfachen, eine geheimnisvolle Komposition aus Millionen Jahren Erdgeschichte und polychromer Entrückung.

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Die Landschaft präsentierte sich rau und manchmal unwirtlich, und nur vereinzelte ländliche Gemeinden passierten wir auf langen Fahrt, die uns vom kleinen Ort Aus im Süden, wo wir die letzten Tage verbracht hatten, wieder in die Landesmitte bringen sollte. Die Erosion ist in diesem Gebiet weit fortgeschritten. Das NamibRand Nature Reserve – abgerundete Hügel, trockenes Gelände und ‚gefoltertes Gestein‘. Das flächenmässig grösste Naturschutzgebiet des Landes ist ein Eldorado für Menschen, die die Einsamkeit und die ‚unüberhörbare‘ Stille  der Wüste und deren Faszination suchen. Weite Sand- und Gesteinsflächen wechseln mit endlos schimmernder Graslandschaft und bizarre Gebirge definieren den Gegensatz.

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Selten habe ich mich so auf ein erfrischendes Bad gefreut. Wir alle waren froh, als wir nach über 350 Kilometer Schotterpiste das Camp aufgebaut hatten und uns – verstaubt und verschwitzt, in den kleinen Pool fallen lassen konnten. Die letzten Tage im Süden waren kühl und während der Fahrt sorgte die Klimaanlage dafür, dass wir die Temperaturschwankung gar nicht wahrnahmen. Doch hier im Sesriem Camping Site schlägt die Namib erbarmungslos zu.

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Touch me, desert! Am späten Nachmittag zieht es uns trotz des brennend heissen Windes auf eine erste Berührung. In knapp fünf Kilometer Entfernung vom Camp erhebt sich die Elim – benannt nach der Farm, die hier einst lag. Der Name stammt aus dem Hebräischen und bedeutet ‚Bäume‘ und das Alte Testament erzählt von Wasserquellen, Palmbäumen und dem Ort, an das Moses sein Volk nach der langen Wanderung durch die Wüste geführt hat.

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Auch wenn die mit Grasbüchel bewachsene Düne scheinbar einfach zu besteigen scheint – mühsam ist der Weg nach ganz oben, denn nur dort offenbart sich die Elim mit ihrer atemberaubenden Vielfalt an farbenfrohen Details und Ausblicken in eine sagenhafte Umgebung, die sich in der rasch sinkenden Sonne immer wieder neu präsentiert.

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Die herrlichen Farbenspiele begleiten uns lange, bis die Sonne das glühende Rot endgültig in ein erdiges Ocker verwandelt und den Himmel auffordert, seine Sternenpracht über die sich schlafen legende Erde auszubreiten. Immer wieder bleiben wir stehen – atemlos, um den Augenblick einzufangen. Den Moment, wo die Sonne hinter den fast schwarzen Dünensegeln abtaucht und ein magisches, ja königliches Violett hinterlässt.

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Sossusvlei – schon der Name treibt einem die Schweissperlen auf die Stirn. Sossus stammt aus der Sprache der Nama, die hier einst lebten, und bedeutet ‚blinder Fluss‘ und vlei steht im Afrikaans für einen kleinen, flachen Tümpel. Es gibt Zeiten, da schafft es das Wasser des Tsauchab River tatsächlich von den Naukluftbergen bis in die Sandwüste und haucht den Ton- und Lehmpfannen für einen Augenblick Leben ein, doch der Umstand, dass nennenswerte Niederschläge in den letzten Monaten ausgeblieben sind, lässt uns nur auf aufgerissene und zerfurchte Erde schauen.

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Noch weit vor Tagesanbruch erwacht das Camp zu geschäftigem Leben. Alle wollen nur das Eine: Den Sonnenaufgang an einem der schönsten Orte der Welt erleben. Die Luft knistert und der Himmel öffnet seine Pforten für einen der schönsten Tage, die ich meinem Leben erfahren durfte.

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Bis zur dune 45 sind es eben 45 Kilometer, und dann braucht es noch einige Zeit, sich im fluffigen Wüstensand ganz bis nach oben zu kämpfen. Aber die Mühe lohnt sich. Wenn die Sonne endlich über die schwarze Bergkette am Horizont kriecht, erlebt man sein ‚rotes Wunder‘. Wie könnte ich einen Augenblick beschreiben, dessen Schönheit sich immer wieder von neuem eröffnet? Es leuchtet, es glitzert, es glimmt. Scheinbar schwerelos eine Sinfonie in Blau, Lila, Rot, Rosa, Altweiss und Ocker – eine Melodie im Rhythmus der Natur, die niemals verstummt.

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Auch wenn ich nicht allein war, habe ich doch einige Zeit dort oben verbracht und über Gott und die Welt und alles mögliche andere nachgedacht. Längst abgelegte Gedanken, die hier sich hier Zeit und Raum nehmen, neu erlebt zu werden. Ein Freund von mir würde wohl anmerken, es wäre Zeit für ein Gedicht. Und so ganz unrecht hätte er nicht, und ich wünsche mir, diesen Moment mit ihm teilen zu können. Hier oben ist eben alles anders. Hier vereinigen sich Jahre zu einem einzigen Moment – hier wird mir wieder einmal bewusst, wie sehr die Spurensuche zu meinem Leben gehört. Hier bin ich ich.

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Nach einem deftigen Frühstück mit ‚ham & eggs‘ führte uns der Weg ins Nana Vlei. Hier weicht das satte Orangerot einem blassen Hellgelb, während die Sonne rasch an gewinnt und die Schatten schrumpfen lässt. Kameldornbäume saugen mit ihrem tiefen, weit verzweigten Wurzelwerk die letzten Reserven aus dem Boden, während in ihrem Schatten Oryx-Antilopen vor der unerträglichen Mittagshitze Schutz suchen.  Wie der Baum selbst sind auch die Tiere, die hier leben, genügsame Überlebenskünstler in widriger Umgebung.

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Die prächtigen Oryx-Antilopen haben sich im Laufe der Evolution an das Leben in der Wüste angepasst. Sie können, ähnlich wie Kamele, längere Zeit ohne Wasser auskommen und dabei ihre Körpertemperatur über 45 Grad ansteigen lassen, ohne Schaden zu nehmen. Möglich ist das dank der besonderen Konstruktion ihrer Halsschlagader, die wie ein Wärmetauscher funktioniert. Es sei jedoch gewarnt: Auch wenn die Tiere den Kontakt mit dem Menschen scheinbar nicht scheuen, kann die Unterschreitung einer gewissen Distanz lebensgefährlich sein. Oryx wissen sich gegen ihre potentiellen Feinde wie Raubkatzen und Hunde zu behaupten und forkeln alles nieder, was sie bedroht oder angreift.

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Die Wüste lebt. Auch wenn man stundenlang in einer scheinbar ausgestorbenen Welt umherschweift – das Leben findet im Verborgenen statt: Schlangen, Käfer, Spinnen und Skorpione verkriechen sich im allgemeinen vor der grossen Hitze unter Steinen, Gestrüpp oder in Erdlöchern. Sie alle haben eine eigene, geniale Strategie entwickelt, um ihren Wasserbedarf zu decken: Die lebenserhaltene Flüssigkeit nehmen sie mit ihren Beutetieren auf, die aus bis zu 70 % aus Wasser bestehen. Erfahrene Führer können diese Bewohner aufspüren, aber selbst in der Natur herumzustochern sollte man tunlichst unterlassen. Um im unbarmherzigen Überlebenskampf bestehen zu können, hat Mutter Natur so manchem Lebewesen einen hochprozentigen Cocktail an Toxinen mit auf den Weg gegeben, der auch für den Menschen gefährlich werden kann.

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‚Jetzt suchen wir den Tod‘, dachte ich, und tatsächlich ist es nur ein Augenblick, der über Leben und Sterben entscheidet. Die Wüste erscheint auf den ersten Blick unbarmherzig und grausam, aber wer mit ihr lebt und sich ihren Regeln unterwirft, wird erkennen, dass sie im tiefsten Inneren eine Oase sein möchte. Ein Ruhepunkt im Leben, an dem man – einmal wirklich angkommen, verweilen und neue Kraft schöpfen kann. Jedenfalls mir erging es so…

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Sesriem kommt aus dem Afrikaans und bedeutet ses riem, also ‚Sechs Riemen‘. Das Aneinanderknüpfen von sechs Riemen aus den Häuten der Oryx-Antilope war nötig, um Wasser aus diesem Canyon schöpfen zu können – manche Erzählungen sprechen auch von Ochsenfellen. Mittlerweile sind die Schöpfenden längst weitergezogen und nur wenige Wasserstellen inmitten des schieferartigen Gesteins sind erhalten geblieben. Ein winziges Überbleibsel, das sich in Regenzeiten in ein Märchenland verwandelt. Auch wenn dies durschnittlich nur alle 10 Jahre einmal vorkommt, bleibt ein Spaziergang durch die bizarren Felsformationen des uralten Gesteins ein besonderes Erlebnis. Der Sesriem Canyon hat sich im Laufe von zwei Millionen knapp einen Kilometer lang und bis zu 30 Meter tief in das Sedimentgestein hineingefressen; ein Winzling gegenüber seinen namhaften und spektakulären Verwandten. Doch der Sonnenuntergang beschreibt seine ganz eigene, archäische Schönheit und beweist, dass er den Vergleich nicht scheuen braucht.

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Wieder einmal geht ein Tag vorbei und ich geniesse den Sonnenuntergang im Canyon in vollen Zügen – gerade so, als wäre es der letzte. Morgen liegt ein langer Tag vor mir. Ein Tag voller neuer Impressionen, Abenteuer und Herausforderungen.. ein afrikanischer Tag eben.

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Red Sails in the Sunset –  es war jene olle Kamelle der jungen Beatles, die mir abends am Lagerfeuer in den Sinn kam. Genau so hatte ich die Namib gerade erlebt: Rote Segel inmitten eines Meeres, das seine Ufer in alle Winde verstreut und auf dessen Wellen ich mich wohlig treiben lasse.

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